Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Beweiswert Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Ultimativer Praxis-Leitfaden 2025

Beweiswert Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das Schlüsselthema, wenn es um Entgeltfortzahlung, Kündigungsfristen und prozesstaktische Erfolgschancen im deutschen Arbeitsrecht geht. Seit dem bahnbrechenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 8. September 2021 (Az. 5 AZR 149/21) hat sich die rechtliche Bewertung erheblich verändert. Das Gericht stellte klar, dass eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihren hohen Beweiswert verlieren kann, wenn konkrete Zweifel an der tatsächlichen Erkrankung bestehen – insbesondere dann, wenn die Krankschreibung exakt die Kündigungsfrist abdeckt.

Gesetzliche Grundlage – § 5 EFZG und § 7 EFZG

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber spätestens am vierten Tag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vorzulegen. Der AU-Bescheinigung wird grundsätzlich ein hoher Beweiswert beigemessen. Gleichzeitig ergibt sich aus § 7 EFZG, dass ein Arbeitgeber nur dann zur Entgeltfortzahlung verpflichtet ist, wenn keine ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bestehen.

Das Bundesarbeitsgericht stellte in seiner Rechtsprechung klar, dass die AU-Bescheinigung keine gesetzliche Vermutung im Sinne des § 292 ZPO begründet. Der Arbeitgeber muss nicht das Gegenteil beweisen, sondern lediglich ernsthafte Zweifel darlegen, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern.

Die drei Kernaussagen aus BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21

1. Zeitliche Passgenauigkeit als Indiz für Zweifel

Wenn ein Arbeitnehmer am Tag seiner Kündigung eine AU-Bescheinigung einreicht, die exakt bis zum Ende der Kündigungsfrist reicht, kann dies den Beweiswert der AU erschüttern. Diese sogenannte „perfekte zeitliche Koinzidenz“ wird vom BAG als besonders starkes Indiz gewertet.

2. Substantiierte Zweifel genügen

Es reicht aus, wenn der Arbeitgeber konkrete und nachvollziehbare Umstände vorträgt, die Zweifel an der Erkrankung begründen. Ein einfaches Bestreiten genügt nicht, medizinische Gegengutachten sind jedoch nicht zwingend erforderlich.

3. Beweislastumkehr nach Erschütterung

Ist der Beweiswert erschüttert, liegt die volle Darlegungs- und Beweislast wieder beim Arbeitnehmer. Dieser muss dann detailliert zu Symptomen, Krankheitsverlauf und Behandlung vortragen und den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden.

Was können Arbeitgeber tun?

Arbeitgeber haben die Möglichkeit, bei konkreten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit aktiv zu werden. Entscheidend ist, dass folgende Maßnahmen rechtzeitig umgesetzt werden:

  • Dokumentation sichern: Kündigungsdatum, Zeitpunkt der AU und deren Dauer festhalten.
  • Beweissicherung: Hinweise auf eine bevorstehende neue Beschäftigung, Urlaubsreisen oder öffentliche Aktivitäten während der angeblichen Krankheit dokumentieren.
  • Medizinischen Dienst einschalten: Gemäß § 275 Abs. 1a SGB V kann die Krankenkasse zur Prüfung der AU verpflichtet werden.
  • Substantiierter Vortrag im Prozess: Arbeitgeber sollten im Streitfall konkret darlegen, warum Zweifel bestehen. Dies kann dazu führen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit aktiv beweisen muss.

Was müssen Arbeitnehmer beachten?

Um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu sichern, sollten Arbeitnehmer auf Folgendes achten:

  • Fristgerechte Krankmeldung: Die AU muss spätestens am vierten Tag vorliegen – im besten Fall früher.
  • Lückenlose Attestierung: Unterbrechungen zwischen Erst- und Folgebescheinigung vermeiden.
  • Schlüssige Diagnose: Unterschiedliche Krankheitsbilder ohne nachvollziehbare Erklärung können Zweifel auslösen.
  • Kooperation im Streitfall: Eine Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht ist ratsam, wenn der Beweiswert erschüttert wurde und die Erkrankung substantiiert erläutert werden muss.
  • Patientenakte anfordern: Damit das Krankheitsbild gegenüber dem Gericht glaubhaft dargelegt werden kann empfiehlt sich insoweit die Patientenakte der Arztpraxis anzufordern um diese in den Prozess einzuführen. Somit können die Krankheiten dargelegt werden welche insoweit zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben.
  • Arztbrief anfordern: Ärzte stellen in der Regel Arztbriefe aus, um ein schriftliches Zeugnis über die Krankheit und deren Auswirkungen auf die Arbeitsunfähigkeit zu belegen. Das kann zwar Kosten auslösen, aber der behandelnde Arzt spart sich somit eine eventuelle Zeugenaussage vor Gericht.

Prozesstaktik: Entgeltfortzahlung erfolgreich sichern oder verweigern

Für Arbeitnehmer bedeutet der Verlust des Beweiswerts in der Praxis: Ohne ausreichende Darlegung der Erkrankung droht eine Klageabweisung. Für Arbeitgeber bedeutet das: Bei gut dokumentierten Zweifeln besteht eine realistische Chance, die Zahlung der Entgeltfortzahlung zu verweigern.

In vielen Fällen führt die rechtliche Unsicherheit auf beiden Seiten zu einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich. Arbeitgeber sollten das Risiko eines langen Rechtsstreits gegen mögliche Einsparungen abwägen. Arbeitnehmer wiederum sollten sich gut beraten lassen, um nicht auf Lohnzahlungen zu verzichten, obwohl sie tatsächlich krank waren.

Fazit: Beweiswert der AU bleibt hoch – aber nicht unangreifbar

Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nach wie vor hoch – aber nicht unerschütterlich. Wenn die Umstände berechtigte Zweifel wecken, können Arbeitgeber erfolgreich gegen die Entgeltfortzahlung vorgehen. Gleichzeitig bleibt es im Interesse aller Beteiligten, Klarheit und Transparenz zu schaffen. Arbeitnehmer sollten ihre Krankmeldung gut dokumentieren und sich im Zweifel anwaltlich beraten lassen. Arbeitgeber sollten nicht vorschnell agieren, sondern fundierte Indizien sammeln und rechtlich korrekt vorgehen.