Lohnrückstand ist für Arbeitnehmer eine ernste Belastung. Wenn der Arbeitgeber das Gehalt nicht pünktlich oder gar nicht zahlt, stellt sich die Frage, welche Rechte bestehen und wie man effektiv darauf reagieren kann. In diesem Rechtstipp erfahren Sie alles über die rechtlichen Grundlagen, das Zurückbehaltungsrecht und die Konsequenzen von Abmahnungen im Zusammenhang mit Lohnrückständen.
Gesetzliche Grundlage: Anspruch auf Gehalt und Zurückbehaltungsrecht
Gemäß § 611a Abs. 2 BGB ist der Arbeitgeber verpflichtet, das vereinbarte Arbeitsentgelt für geleistete Arbeit zu zahlen. Bleibt die Zahlung aus, kann sich der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen auf § 273 Abs. 1 BGB berufen:
„Hat der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird.“
Dieses Zurückbehaltungsrecht ermöglicht es dem Arbeitnehmer, seine Arbeitsleistung vorübergehend einzustellen, bis der Arbeitgeber die ausstehende Zahlung leistet. Allerdings gibt es hierbei rechtliche Grenzen und Voraussetzungen, die eingehalten werden müssen.
Lohnrückstand: Mögliche Ursachen und deren Bedeutung
Ein Lohnrückstand kann verschiedene Ursachen haben:
- Finanzielle Schwierigkeiten des Arbeitgebers: Liquiditätsprobleme können zu verzögerten oder ausbleibenden Zahlungen führen.
- Fehler in der Lohnbuchhaltung: Verwaltungsfehler oder technische Probleme können ebenfalls eine verspätete Zahlung verursachen.
- Bewusste Zurückhaltung von Gehalt: Manche Arbeitgeber nutzen Lohnrückstände als Druckmittel oder zur vermeintlichen Verrechnung mit angeblichen Gegenansprüchen.
- Arbeitsrechtliche Streitigkeiten: Differenzen über geleistete Stunden, Zuschläge oder Vertragsauslegung können zu Zahlungszurückhaltungen führen.
In jedem Fall sollte der Arbeitnehmer die genaue Ursache ermitteln, um angemessen reagieren zu können.
Wann darf der Arbeitnehmer die Arbeit verweigern?
Das Zurückbehaltungsrecht darf nicht leichtfertig ausgeübt werden. Es gelten folgende Voraussetzungen:
- Fälliger und durchsetzbarer Entgeltanspruch: Das Gehalt muss rechtlich fällig und einklagbar sein.
- Erheblicher Lohnrückstand: In der Regel müssen mindestens zwei Monatsgehälter ausstehen.
- Ankündigung gegenüber dem Arbeitgeber: Eine schriftliche Zahlungsaufforderung mit angemessener Frist ist erforderlich.
- Kein Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts: In bestimmten Fällen, wie z. B. bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten, kann die Verweigerung der Arbeitsleistung unzulässig sein.
Arbeitnehmer sollten sich vor der Anwendung des Zurückbehaltungsrechts rechtlich beraten lassen, um ungewollte arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden.
Arbeitsrechtliche Konsequenzen: Droht eine Abmahnung oder Kündigung?
Viele Arbeitnehmer fürchten eine Abmahnung oder Kündigung, wenn sie ihr Zurückbehaltungsrecht geltend machen. Die Rechtsprechung stellt jedoch klar: Ein berechtigtes Zurückbehaltungsrecht stellt keine Vertragsverletzung dar.
Die Rechtsprechung entschied, dass Arbeitnehmer, die auf berechtigte ausstehende Gehaltszahlungen bestehen und deshalb ihre Arbeit zurückhalten, nicht ohne Weiteres gekündigt werden dürfen.
Wann eine Abmahnung gegenüber einem Arbeitnehmer unwirksam ist
Eine Abmahnung ist unwirksam, wenn:
- Der Arbeitgeber seiner Hauptpflicht (Lohnzahlung) nicht nachkommt.
- Der Arbeitnehmer das Zurückbehaltungsrecht ordnungsgemäß ausgeübt hat.
- Keine vorherige Mahnung oder Fristsetzung durch den Arbeitgeber erfolgt ist.
Arbeitnehmer, die eine unberechtigte Abmahnung erhalten, sollten sich rechtlich zur Wehr setzen und ggf. eine Gegendarstellung einreichen.
Einheit des Verhinderungsfalls: Warum Arbeitgeber oft falsch argumentieren
Ein weiteres Problem tritt auf, wenn Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern, indem sie eine Einheit des Verhinderungsfalls nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG annehmen. Dabei argumentieren sie, dass eine neue Erkrankung lediglich die Fortsetzung einer vorherigen Krankheit sei.
Entscheidende Faktoren für die Einheit des Verhinderungsfalls:
- Gesunde Tage zwischen den Erkrankungen: Eine Unterbrechung durch arbeitsfähige Tage spricht gegen eine Einheit des Verhinderungsfalls.
- Verschiedene Diagnosen: Bestehen keine medizinischen Zusammenhänge zwischen den Erkrankungen, gilt jede Krankheit als eigenständig.
- Bescheinigung der Krankenkasse: Eine Krankenkassenbescheinigung kann die Argumentation des Arbeitnehmers untermauern.
Arbeitnehmer sollten sich daher bei unrechtmäßiger Verweigerung der Lohnfortzahlung rechtlich absichern.
Praktische Hinweise für Arbeitnehmer
✔ Dokumentation führen: Notieren Sie Ihre Arbeitszeiten, Zahlungen und sämtliche Kommunikation mit dem Arbeitgeber.
✔ Schriftlich agieren: Setzen Sie Fristen zur Zahlung und dokumentieren Sie Mahnungen.
✔ Rechtlichen Beistand einholen: Lassen Sie sich bei anhaltendem Lohnrückstand oder einer unrechtmäßigen Abmahnung beraten.
Fazit: Arbeitnehmer müssen sich nicht alles gefallen lassen!
Wenn Arbeitgeber das Gehalt nicht zahlen oder eine Abmahnung wegen eines vermeintlichen Pflichtverstoßes aussprechen, sollten Arbeitnehmer ihre Rechte kennen. Das Zurückbehaltungsrecht kann ein wirksames Mittel sein, um den Arbeitgeber zur Zahlung zu bewegen. Eine unberechtigte Abmahnung oder Kündigung kann erfolgreich abgewehrt werden. Arbeitnehmer sollten sich frühzeitig beraten lassen, um ihre Ansprüche bestmöglich durchzusetzen.
Einzelfallprüfung und rechtliche Beratung sind entscheidend
Jeder Fall von Lohnrückstand ist individuell zu bewerten. Die rechtlichen Konsequenzen einer ausbleibenden Zahlung oder der Anwendung des Zurückbehaltungsrechts hängen von den jeweiligen Umständen ab. Daher ist es ratsam, sich vor dem Ergreifen arbeitsrechtlicher Maßnahmen rechtlich beraten zu lassen. Ein erfahrener Anwalt im Bereich Arbeitsrecht kann klären, ob ein Zurückbehaltungsrecht besteht, ob eine Abmahnung rechtlich haltbar ist oder welche weiteren Schritte sinnvoll sind. Nur eine individuelle Prüfung der Situation kann die beste Strategie für den Arbeitnehmer gewährleisten.