Eine Kündigung ohne die Zustimmung des Integrationsamts, bei Schwerbehinderung des Arbeitnehmers oder entsprechender Gleichstellung ist in aller Regel unwirksam und lässt sich erfolgreich angreifen. In diesem Beitrag erläutere ich die Rechtslage, zitiere die entscheidenden Gesetzesnormen, zeige praxisnahe Taktiken für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen und gebe klare Handlungsempfehlungen – verständlich, präzise und auf dem aktuellen Stand.
Überblick: Worum es beim Sonderkündigungsschutz geht
Der besondere Kündigungsschutz schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen sorgt dafür, dass vor jeder Kündigung eine behördliche Kontrolle stattfindet. Ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts fehlt es an einer zentralen Wirksamkeitsvoraussetzung. Das gilt für ordentliche und für außerordentliche (fristlose) Kündigungen gleichermaßen. Arbeitgeber müssen das Zustimmungsverfahren sauber beantragen und dokumentieren; Arbeitnehmer:innen sollten ihren Schutzstatus rechtzeitig anzeigen und die Klagefristen beachten.
Gesetzliche Grundlage
§ 168 SGB IX – Erfordernis der Zustimmung
„Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.“
Wird eine Kündigung ohne Zustimmung Integrationsamt ausgesprochen, verstößt sie gegen ein gesetzliches Verbot und ist grundsätzlich nichtig (§ 134 BGB). Die Zustimmung kann nicht „nachträglich“ geheilt werden; sie muss vor Ausspruch der Kündigung vorliegen.
Fristlose Kündigung – zentrale Ergänzung (§ 626 BGB, Auszug):
„Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.“ (§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB)
Klagefrist:
Gegen jede Kündigung ist binnen drei Wochen Kündigungsschutzklage zu erheben (§ 4 KSchG). Diese Frist läuft unabhängig vom Sonderkündigungsschutz. Nur in Ausnahmefällen lässt sich dies heilen (Anwalt fragen!).
Wann ist eine Kündigung ohne die Zustimmung des Integrationsamts unwirksam?
Eine Kündigung ohne Zustimmung Integrationsamt ist regelmäßig unwirksam, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung
- eine anerkannte Schwerbehinderung oder Gleichstellung vorlag oder
- vor Zugang der Kündigung rechtzeitig ein entsprechender Antrag gestellt war,
und der Arbeitgeber vorher keine Zustimmung des Integrationsamts eingeholt hat. Dieser Schutz gilt für ordentliche und fristlose Kündigungen. Bei fristloser Kündigung bleibt zusätzlich der strenge Maßstab des § 626 BGB maßgeblich (wichtiger Grund, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit, Ultima-Ratio-Grundsatz).
Die zwei Schlüsselfristen: „drei Wochen vor“ und „drei Wochen nach“
1) „Drei Wochen vor“ – rechtzeitiger Antrag schützt
Wird der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung (oder auf Gleichstellung) mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt, kann sich die/der Beschäftigte bereits während des laufenden Verwaltungsverfahrens auf den Sonderkündigungsschutz berufen. Entscheidend ist, dass die fehlende Anerkennung nicht an mangelnder Mitwirkung scheitert und der Schutzstatus zeitnah geltend gemacht wird.
Dies ist Rechtsprechung. Da der Einzelfall aber entscheidend ist, sollte in jedem Fall eine Kündigungsschutzklage eingelegt werden.
2) „Drei Wochen nach“ – Schutz zeitnah geltend machen
Wusste der Arbeitgeber beim Ausspruch der Kündigung nichts von der Schwerbehinderung oder vom bereits gestellten Antrag, muss die/der Arbeitnehmer:in den Sonderkündigungsschutz zeitnah nach Zugang der Kündigung anzeigen. Als Regelfall haben sich etwa drei Wochen (zuzüglich kurzer Postlaufzeit) herausgebildet. Eine verspätete Mitteilung kann zum Verlust des Schutzes führen (Stichwort: Verwirkung) beziehungsweise eventuellen Annahmeverzugslohnansprüchen entgegenwirken. Insoweit wird taktisch klug der Sonderkündigungsschutz erst im Rahmen der Kündigungsschutzklage geltend gemacht!
Verfahren vor dem Integrationsamt: Fristen, Fiktion, Bindungswirkung
Zustimmungsantrag und kurze Fristen bei außerordentlicher Kündigung
Plant der Arbeitgeber eine fristlose Kündigung, muss er die Zustimmung des Integrationsamts innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen beantragen (§ 174 Abs. 2 SGB IX). Unterbleibt dies, ist die fristlose Kündigung regelmäßig bereits aus diesem Grund angreifbar.
Zustimmungsfiktion („Schweigen gilt als Zustimmung“)
Trifft das Integrationsamt innerhalb der zweiwöchigen Entscheidungsfrist keine Entscheidung, gilt die Zustimmung als erteilt (§ 174 Abs. 3 SGB IX). Diese Fiktion erfordert eine sorgfältige Fristenkontrolle durch Arbeitgeber – und eine ebenso sorgfältige Prüfung durch Arbeitnehmer:innen, ob und wann tatsächlich eine wirksame Zustimmung vorlag.
Bindungswirkung und fehlende aufschiebende Wirkung
Wird die Zustimmung erteilt (auch fingiert), bindet dieser Verwaltungsakt die Arbeitsgerichte, bis er bestands- oder rechtskräftig aufgehoben ist. Ein Widerspruch gegen die Zustimmung hat keine aufschiebende Wirkung (§ 171 Abs. 4 SGB IX). Für die Praxis bedeutet das: Parallel zum arbeitsgerichtlichen Verfahren sind verwaltungsrechtliche Rechtsbehelfe zielgenau zu führen, ohne die arbeitsgerichtlichen Fristen aus dem Blick zu verlieren.
Ausnahmen: Wann greift der Sonderkündigungsschutz nicht?
§ 173 SGB IX normiert Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis. Besonders relevant:
- Wartezeit: Während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses besteht der besondere Kündigungsschutz grundsätzlich nicht (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
- Kein Nachweis/fehlende Mitwirkung: Liegt zum Kündigungszeitpunkt keine anerkannte Schwerbehinderung und kein rechtzeitig gestellter Antrag vor, oder scheitert die Feststellung an fehlender Mitwirkung, kann der Schutz entfallen.
Wichtig: Diese Ausnahmen sind eng auszulegen. Bestehen Zweifel, sollte der Arbeitgeber das Zustimmungsverfahren dennoch betreiben – das reduziert Prozessrisiken.
Verhältnis zum allgemeinen Kündigungsrecht (KSchG/BGB)
Der Sonderkündigungsschutz ersetzt nicht die allgemeinen Wirksamkeitserfordernisse:
- Ordentliche Kündigung: Sie muss sozial gerechtfertigt sein (§ 1 KSchG). Zu prüfen sind u. a. dringende betriebliche Erfordernisse, verhaltens- oder personenbedingte Gründe, ordnungsgemäße Sozialauswahl, ordnungsgemäße Beteiligung von Betriebsrat/Schwerbehindertenvertretung (sofern vorhanden).
- Außerordentliche (fristlose) Kündigung: Es bedarf eines wichtigen Grundes (§ 626 BGB), der eine Fortsetzung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar macht. In der Regel ist eine Abmahnung erforderlich, es sei denn, diese wäre ausnahmsweise entbehrlich. Auf Verlangen sind die Kündigungsgründe unverzüglich schriftlich mitzuteilen (§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB).
Unabhängig davon gilt die dreiwöchige Klagefrist (§ 4 KSchG). Arbeitnehmer:innen sollten sämtliche Unwirksamkeitsgründe – einschließlich „Kündigung ohne Zustimmung Integrationsamt“ – fristgerecht rügen.
Beispielsfall: Kündigung bei rechtzeitiger Antragstellung
Eine Angestellte stellte noch rechtzeitig vor dem Erhalt ihrer Kündigung einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung. Erst ein Monat später ging ihr eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zu. Eine Zustimmung des Integrationsamts lag nicht vor.
- Der Antrag wurde deutlich mehr als drei Wochen vor dem Kündigungszugang gestellt – der Sonderkündigungsschutz greift folglich bereits während des laufenden Anerkennungsverfahrens.
- Da eine Kündigung ohne die Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen wurde, ist sie regelmäßig nichtig (§ 168 SGB IX i. V. m. § 134 BGB).
- Auch wenn die Entscheidung des Integrationsamtes noch nicht vorliegt, ist es ein Risiko für den Arbeitgeber ob am Ende der Status des Schwerbehinderten Arbeitnehmers durch das Integrationsamt festgestellt wird. Denn Der Arbeitgeber hat insoweit keinen Blick auf die „Karten“ der Angestellten. Das ist gerade das Pokerspiel. Das Annahmeverzugslohnrisiko des Arbeitgebers steigt gerade bei einer fristlosen Kündigung. Denn bei einer fristlosen Kündigung ist es dem Arbeitgeber in der Regel verwehrt dem Arbeitnehmer ein „Prozessrechtsarbeitsverhältnis“ anzubieten um dem Annahmeverzugslohnrisiko ausweichen zu können.
- Bei der fristlosen Kündigung fehlt es zusätzlich häufig an den strengen Voraussetzungen des § 626 BGB (wichtiger Grund, Abmahnung, Interessenabwägung). Auf Verlangen sind die Gründe schriftlich bereits vorab offenzulegen.
- Prozessual geboten ist die Kündigungsschutzklage binnen drei Wochen in jedem Fall, flankiert von der nachweisbaren Anzeige des Schutzstatus durch den Anwalt gegenüber dem Arbeitgeber.
Taktik für Arbeitnehmer:innen
- Sofort handeln: Nach Zugang der Kündigung den Sonderkündigungsschutz unverzüglich gegenüber dem Arbeitgeber im Wege der Klage geltend machen (durch den Anwalt). Antragsnachweise und medizinische Unterlagen dem Anwalt zusenden.
- Klagefrist wahren: Kündigungsschutzklage binnen drei Wochen erheben (§ 4 KSchG). In der Klage alle Unwirksamkeitsgründe vortragen, insbesondere der der „Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamts“.
- Begründung anfordern: Bei fristloser Kündigung die schriftliche Mitteilung der Kündigungsgründe verlangen (§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB).
- Beweise sichern: Antrag, Bescheide, Diagnosen, Schriftverkehr, Zustellungsbelege systematisch sammeln.
- SBV/Betriebsrat einbinden: Beteiligungsfehler (Schwerbehindertenvertretung/Betriebsrat) zusätzlich rügen.
- Um sich nicht alles merken zu müssen: Gleich zur Anwaltskanzlei Jäckel
- Schwerbehinderung geheim halten. Nur dem Anwalt mitteilen!
Taktik für Arbeitgeber:innen
- Schutzstatus prüfen: Liegt eine Schwerbehinderung vor? Wurde ein Antrag gestellt? Gibt es Hinweise darauf? Im Zweifel das Integrationsamt frühzeitig beteiligen.
- Zustimmung vor Kündigung: Ohne vorherige Zustimmung droht Nichtigkeit. Eine später erteilte Zustimmung heilt die Kündigung nicht.
- Fristen kontrollieren: Bei fristloser Kündigung binnen zwei Wochen den Zustimmungsantrag stellen und die Entscheidungsfrist des Integrationsamts im Blick behalten (Zustimmungsfiktion). Kündigung sodann unverzüglich erklären.
- Dokumentation & Ultima Ratio: Pflichtverstöße, Abmahnungen, Umstände der Interessenabwägung nachvollziehbar dokumentieren.
- Doppelgleisig denken: Neben dem arbeitsgerichtlichen Verfahren ggf. verwaltungsrechtliche Rechtsbehelfe gegen eine verweigerte Zustimmung verfolgen – und umgekehrt.
Häufige Fehler von Arbeitgeber – und wie Arbeitgeber sie vermeiden
- Fehlende Zustimmung „übersehen“: Eine Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamts ist der klassische Showstopper – prüfen und rügen Sie dieses Hindernis zuerst.
- Mitteilung zu spät: Wer den Sonderkündigungsschutz erst lange nach der Kündigung geltend macht, riskiert die Verwirkung; zu Gunsten des Arbeitgebers. Also hier ein Arbeitnehmerfehler 😉
- Fristen verfehlen: Bei fristloser Kündigung sind die zweiwöchigen Fristen (Antrag/Entscheidung) zentral; im Zweifel greift die Zustimmungsfiktion.
- Bindungswirkung unterschätzen: Eine erteilte (auch fingierte) Zustimmung bindet die Arbeitsgerichte, bis sie bestands- oder rechtskräftig aufgehoben ist.
- Allgemeines Kündigungsrecht vergessen: Neben der Zustimmung sind stets § 1 KSchG (soziale Rechtfertigung) und § 626 BGB (wichtiger Grund) zu prüfen.
Checkliste für Arbeitnehmer: Sofortmaßnahmen nach Zugang der Kündigung
- Fristen notieren: Drei Wochen Klagefrist (§ 4 KSchG); zeitnahe Mitteilung des Schutzstatus an den Arbeitgeber durch den Anwalt.
- Schutzstatus durch Anwalt anzeigen: Schwerbehinderung/Antrag nachweisbar per Einschreiben oder E-Mail (mit Lesebestätigung) mitteilen. Vorzugswürdig, kümmert sich der Anwalt im Klageverfahren diesbezüglich.
- Integrationsamt prüfen: Wurde die Zustimmung beantragt/erteilt? Wenn nein: „Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamts“ rügen.
- Kündigungsgründe anfordern: Bei fristloser Kündigung schriftliche Gründe verlangen (§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB).
- Unterlagen bündeln: Arbeitsvertrag, Abmahnungen, Anträge, Bescheide, medizinische Unterlagen, sowie weiteren entsprechenden Schriftverkehr an den Anwalt senden.
- Anwaltliche Begleitung sichern: Prozesstaktik abstimmen, Vergleichsszenarien bewerten, Beweisführung strukturieren. Lassen Sie sich von der Anwaltskanzlei Jäckel beraten.
FAQ: Kurz & bündig
Gilt der Sonderkündigungsschutz auch in der Probezeit?
Während der ersten sechs Monate (Wartezeit) greift der besondere Kündigungsschutz grundsätzlich nicht (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
Kann die Zustimmung nachträglich eingeholt werden?
Nein. Eine bereits ausgesprochene Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamts wird durch eine spätere Zustimmung nicht wirksam.
Was passiert, wenn das Integrationsamt nicht rechtzeitig entscheidet?
Bei fristloser Kündigung kann nach Ablauf der Entscheidungsfrist eine Zustimmungsfiktion eintreten (§ 174 Abs. 3 SGB IX). Dann muss die Kündigung unverzüglich erklärt werden.
Muss ich als Arbeitnehmer trotz Sonderkündigungsschutz klagen?
Ja. Ohne Kündigungsschutzklage binnen drei Wochen (§ 4 KSchG) wird selbst eine an sich unwirksame Kündigung regelmäßig bestandskräftig.
Fazit
Eine Kündigung ohne Zustimmung des Integrationsamts ist in den meisten Konstellationen unwirksam. Wer den Schutz rechtzeitig vorbereitet (Antrag in der Regel mindestens drei Wochen vor Kündigung) und ihn zeitnah geltend macht, stärkt seine Rechtsposition erheblich. Arbeitgeber wiederum müssen das Zustimmungsverfahren fristgerecht und sorgfältig führen – und zusätzlich die allgemeinen Wirksamkeitsanforderungen (insbesondere § 1 KSchG und gegebenenfalls § 626 BGB) erfüllen. Mit klarer Fristenkontrolle, sauberer Dokumentation und stringenter Prozessstrategie lassen sich teure Fehler vermeiden.