Wer variabel vergütet wird, sollte seine Rechte kennen – von Auskunft und Buchauszug über AGB-Kontrolle und Annahmeverzug bei Freistellung bis hin zur DSGVO-Auskunft. Dieser Rechtstipp erklärt die Rechtslage verständlich, gibt praxiserprobte Argumente und zeigt, wie Sie Ansprüche effizient durchsetzen.
Viele Arbeitnehmer wissen nicht, dass ihnen trotz Zielvereinbarungen, Freistellung oder Kündigung noch Provisionen zustehen können. Doch wer im Vertrieb arbeitet oder erfolgsabhängige Vergütung erhält, hat oft mehr Rechte, als ihm bewusst ist. Dieser umfassende Praxis-Leitfaden beleuchtet die häufigsten Fallstricke beim Provisionsanspruch, zeigt rechtliche Strategien zur Anspruchssicherung auf und gibt konkrete Hinweise zur Beweisführung und gerichtlichen Durchsetzung. Dieser Rechtstipp erklärt die Rechtslage verständlich, gibt praxiserprobte Argumente und zeigt, wie Sie Ansprüche effizient durchsetzen.
Provisionsanspruch Arbeitnehmer: Grundlagen, Anspruchsvoraussetzungen & Strategie
Im Arbeitsverhältnis entsteht ein Provisionsanspruch, sobald die vertraglich vereinbarte Erfolgsbedingung eingetreten und die Fälligkeit erreicht ist (z. B. Abschluss eines vermittelten Vertrages oder ein definierter Umsatz-Trigger). Unklare oder intransparente Provisions-, Fälligkeits-, Kürzungs- oder Storno-Klauseln in Formularverträgen unterliegen der AGB-Kontrolle nach § 307 BGB und sind im Zweifel unwirksam. Folge: Es gilt die für Beschäftigte günstigere Auslegung.
Für Arbeitnehmer mit provisionsbasierter Vergütung werden zentrale Gedanken aus dem Handelsvertreterrecht herangezogen. Insbesondere die Mechanik von Abrechnung, Buchauszug und Nachweis der Provisionsbasis dient als Referenzrahmen, wenn der Arbeitsvertrag entsprechende variable Vergütung vorsieht.
Ein Anspruch auf Provision setzt dabei grundsätzlich voraus, dass der Arbeitnehmer eine konkrete Mitwirkung am Zustandekommen des Geschäfts erbracht hat. Dies kann sich etwa aus internen Zuordnungen im System des Arbeitgebers, E-Mail-Korrespondenzen, Kundenterminen oder durch den Nachweis einer Leadbearbeitung ergeben. Ist der Erfolgseintritt streitig, muss der Arbeitnehmer Tatsachen vortragen, die auf eine erhebliche Mitursächlichkeit seines Beitrags zum Vertragsschluss hindeuten. In der Praxis ist daher eine saubere Dokumentation der Vertriebstätigkeit essenziell.
Wird dem Arbeitnehmer ein bestimmter Kundenstamm oder ein bestimmtes Vertriebsgebiet zugewiesen, spricht wohl ein Anscheinsbeweis dafür, dass er an den dortigen Vertragsabschlüssen mitgewirkt hat. Hier wird der Arbeitnehmer vorsorglich natürlich noch ausgiebig vortragen müssen. Der Arbeitgeber trägt dann wohl die sekundäre Darlegungslast dafür, warum dem nicht so sei.
Provisionsanspruch Arbeitnehmer: Abrechnung & Buchauszug nach § 87c HGB (analog)
Der Buchauszug ist das wichtigste Instrument, um variable Vergütung verlässlich zu beziffern. Inhaltlich muss er alle provisionsrelevanten Geschäfte so auflisten, dass die Berechnung nachvollziehbar überprüft werden kann (Kunde, Leistung/Geschäft, Zeitpunkt, Umsätze, Provisionssätze, Stornos, Abzüge, bereits geleistete Zahlungen).
§ 87c HGB lautet:
(1) Der Unternehmer hat über die Provision, auf die der Handelsvertreter Anspruch hat, monatlich abzurechnen; der Abrechnungszeitraum kann auf höchstens drei Monate erstreckt werden. Die Abrechnung hat unverzüglich, spätestens bis zum Ende des nächsten Monats, zu erfolgen.
(2) Der Handelsvertreter kann bei der Abrechnung einen Buchauszug über alle Geschäfte verlangen, für die ihm nach § 87 Provision gebührt.
(3) Der Handelsvertreter kann außerdem Mitteilung über alle Umstände verlangen, die für den Provisionsanspruch, seine Fälligkeit und seine Berechnung wesentlich sind.
(4) Wird der Buchauszug verweigert oder bestehen begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszuges, so kann der Handelsvertreter verlangen, daß nach Wahl des Unternehmers entweder ihm oder einem von ihm zu bestimmenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchsachverständigen Einsicht in die Geschäftsbücher oder die sonstigen Urkunden so weit gewährt wird, wie dies zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Abrechnung oder des Buchauszuges erforderlich ist.
(5) Diese Rechte des Handelsvertreters können nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden.
Auch angestellte Vertriebsmitarbeiter mit vertraglich geregelter Provision können sich – je nach Ausgestaltung – auf diese Grundsätze stützen. In der Praxis wird § 87c HGB über die Brücke zu § 65 HGB analog herangezogen, wenn die Vergütung provisionsähnlich strukturiert ist.
§ 65 HGB hat folgenden Wortlaut:
Ist bedungen, daß der Handlungsgehilfe für Geschäfte, die von ihm geschlossen oder vermittelt werden, Provision erhalten solle, so sind die für die Handelsvertreter geltenden Vorschriften des § 87 Abs. 1 und 3 sowie der §§ 87a bis 87c anzuwenden.
Auskunft, eidesstattliche Versicherung & Stufenklage (§ 254 ZPO)
Fehlen Informationen für die Bezifferung, empfiehlt sich die Stufenklage:
§ 254 ZPO lautet:
Wird mit der Klage auf Rechnungslegung oder auf Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung die Klage auf Herausgabe desjenigen verbunden, was der Beklagte aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis schuldet, so kann die bestimmte Angabe der Leistungen, die der Kläger beansprucht, vorbehalten werden, bis die Rechnung mitgeteilt, das Vermögensverzeichnis vorgelegt oder die eidesstattliche Versicherung abgegeben ist.
Die Stufenklage ist ein effektives Instrument zur Durchsetzung unbezifferter Ansprüche, insbesondere bei variabler Vergütung, bei der die exakte Berechnungsgrundlage im Besitz des Arbeitgebers liegt. In der ersten Stufe wird der Arbeitgeber zur Auskunft oder zur Vorlage eines Buchauszugs verurteilt. Kann der Arbeitnehmer nach Auswertung der erhaltenen Informationen seinen Zahlungsanspruch noch nicht exakt beziffern, folgt die zweite Stufe mit der Geltendmachung einer eidesstattlichen Versicherung, dass die erteilte Auskunft vollständig und richtig ist. Erst im Anschluss wird die Zahlungsklage erhoben. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt in der Entlastung des Arbeitnehmers von der primären Darlegungslast hinsichtlich der Höhe der Provision. Ergänzend greifen vertragliche Nebenpflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB (Rücksichtnahmepflicht), aus denen sich die Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Auskunft ergeben kann. Ebenso findet der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) Anwendung, insbesondere wenn der Arbeitgeber seine Auskunftspflicht treuwidrig verzögert oder verweigert. Bei beharrlicher Auskunftsverweigerung kann auch ein Zwangsgeld gem. § 888 ZPO zur Vollstreckung der ersten Stufe beantragt werden.
DSGVO-Auskunft (Art. 15 DSGVO) als Beweishebel
Art. 15 DSGVO ermöglicht auch Arbeitnehmern einen umfassenden Einblick in verarbeitete personenbezogene Daten, u.a. in CRM-Einträge, Umsatzdaten oder interne Bewertungen:
Art. 15 Abs. 1 DSGVO lautet:
- Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen:
- die Verarbeitungszwecke;
- die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden;
- die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen;
- falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer;
- das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung;
- das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde;
- wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden, alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten;
- das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und – zumindest in diesen Fällen – aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person.
Die Auskunft kann entscheidend zur Geltendmachung des Provisionsanspruchs beitragen, z. B. durch Aufschlüsselung von Leads, Vermittlungsbeteiligungen und Zuordnung von Kunden. Auch interne Bewertungsvermerke, dienstliche E-Mail-Verläufe und Kalendereinträge mit Gesprächsnotizen können unter den Begriff der personenbezogenen Daten im Sinne der DSGVO fallen. Diese Informationen erlauben es dem Arbeitnehmer, seine Beteiligung am Zustandekommen konkreter Geschäftsabschlüsse nachvollziehbar darzulegen und eine Mitursächlichkeit rechtlich zu untermauern. Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Auskunft nicht oder nur unvollständig nach, kann dies nicht nur zivilprozessuale Beweisnachteile zur Folge haben, sondern auch zu einem Beschwerderecht bei der zuständigen Datenschutzaufsicht nach Art. 77 DSGVO (Jede betroffene Person hat unbeschadet eines anderweitigen verwaltungsrechtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfs das Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde, insbesondere in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts, ihres Arbeitsplatzes oder des Orts des mutmaßlichen Verstoßes, wenn die betroffene Person der Ansicht ist, dass die Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten gegen diese Verordnung verstößt.) führen. Zudem können Schadensersatzansprüche nach der DSGVO (Art. 82) bestehen:
Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. (Art. 82 Abs. 1 DSGVO)
AGB-Kontrolle von Provisionsklauseln (§ 307 BGB)
Arbeitgeberseitige Standardklauseln zur variablen Vergütung müssen den Anforderungen des § 307 BGB genügen.
§ 307 Abs. 1 BGB lautet:
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
Häufige Fehlerquellen:
- Unklare Staffelungen der Provisionshöhe
- Mindestumsatzklauseln ohne Transparenz
- Verfallfristen ohne deutliche Hervorhebung
Freistellung und Annahmeverzugslohn (§ 615 BGB)
Bei einer unwiderruflichen Freistellung gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug. Der Lohnanspruch bleibt bestehen:
§ 615 BGB lautet:
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.
Dies bedeutet: Der Arbeitgeber schuldet auch die variable Vergütung – etwa Provisionen –, wenn deren Grundlage weiterhin besteht und der Arbeitnehmer aufgrund der Freistellung daran gehindert ist, weitere Abschlüsse zu erzielen. Insbesondere bei Zielvereinbarungen oder leistungsabhängigen Komponenten ist entscheidend, ob die Zielerreichung noch möglich gewesen wäre.
Checkliste für die Geltendmachung
- Arbeitsvertrag und Provisionsregelung sichten
- Erfolgsnachweise dokumentieren (Vertragsunterlagen, Dokumentations-System, E-Mails)
- Außergerichtlich Auskunft/Buchauszug fordern
- DSGVO-Auskunft (Art. 15) zusätzlich geltend machen
- Bei Bedarf Stufenklage erheben (§ 254 ZPO)
- Verzugszinsen gem. § 288 Abs. 1 BGB einfordern
- Freistellung dokumentieren (Annahmeverzug!)
Fazit
Der Provisionsanspruch von Arbeitnehmern lässt sich rechtlich vielfach absichern. Die Kombination aus vertraglichem Anspruch, gesetzlicher Auskunft, Stufenklage und DSGVO-Instrumentarium bietet ein effektives Werkzeug zur Durchsetzung variabler Vergütung – auch bei Konflikten, Freistellung oder Vertragsbeendigung. Gerade in der Praxis arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen ist die Beweissicherung zentral. Arbeitgeber berufen sich nicht selten auf angeblich nicht erreichte Erfolgsziele, unzureichende Mitwirkung oder fehlende Kausalität zwischen Tätigkeit und Vertragsabschluss. Dem kann mit einer fundierten Darlegung entgegengetreten werden: Wer über systematisch geführte Kalendereinträge, CRM-Vermerke oder E-Mail-Korrespondenz verfügt, ist in der Lage, seine Beteiligung an konkreten Vermittlungen oder Abschlüssen substanziiert darzulegen. Zudem empfiehlt es sich, regelmäßig Screenshots oder Ausdrucke von Erfolgsnachweisen zu archivieren, insbesondere bei Zugriff auf digitale Systeme ohne dauerhaftes Exportrecht.
Auch im Rahmen arbeitsgerichtlicher Vergleichsgespräche kann die Frage der Provision strategisch genutzt werden: Ein unklarer Provisionsanspruch erhöht das wirtschaftliche Risiko des Arbeitgebers und kann bei geschickter Argumentation als Hebel für eine bessere Abfindung genutzt werden. Denn Provisionsansprüche sind in der Regel dann streitig, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber gekündigt worden ist. Hier bietet es sich an die Provisionsansprüche neben der Kündigungsschutzklage geltend zu machen. Voraussetzung dafür ist allerdings eine saubere Vorbereitung und Kenntnis der materiellen wie prozessualen Grundlagen – dieser Leitfaden bietet hierfür eine tragfähige Basis.