Annahmeverzug und Krankheit – BAG-Urteil schafft Klarheit
Annahmeverzug und Krankheit – das neue Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 4. Dezember 2024 (Az.: 5 AZR 276/23) stellt eine bedeutsame Weichenstellung für die Praxis dar: Wenn ein Arbeitnehmer während eines bestehenden Annahmeverzugs des Arbeitgebers krank wird, besteht kein unbegrenzter Lohnanspruch. Das BAG betont den Vorrang der spezialgesetzlichen Regelungen im Arbeitsrecht.
Hintergrund des Falls: Streit um 73.000 Euro Lohnnachzahlung
Ein kommunaler Angestellter erhielt nach Konflikten mit dem Oberbürgermeister keine vertragsgerechte Beschäftigung mehr. Der Arbeitgeber kündigte – erfolglos. In der Folgezeit war der Arbeitnehmer über ein Jahr lang arbeitsunfähig erkrankt. Weil der Arbeitgeber ihn nicht mehr sinnvoll einsetzen wollte, verlangte der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn in Höhe von über 73.000 Euro brutto – gestützt auf § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB.
Das BAG wies die Klage ab. Entscheidend: Die Erkrankung sei kein Fall der Gegenleistungsgefahr nach allgemeinem Schuldrecht, da für Arbeitsverhältnisse speziellere Vorschriften gelten.
§ 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB – Die allgemeine Regel zur Gegenleistungsgefahr
Der Schuldner behält den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn […] dieser vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.
(§ 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB)
Diese Regelung betrifft insbesondere Fälle, in denen der Gläubiger die angebotene Leistung nicht entgegennimmt und dann ein Leistungshindernis auftritt, das der Schuldner nicht zu vertreten hat.
Im Arbeitsrecht aber greift eine speziellere Normenhierarchie – und genau das hat das BAG nun ausdrücklich klargestellt.
Die spezielleren arbeitsrechtlichen Regelungen
§ 615 Satz 1 BGB – Lohn trotz Annahmeverzug
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinigte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.
(§ 615 Satz 1 BGB)
Diese Vorschrift sichert den Lohnanspruch, wenn der Arbeitgeber Annahmeverzug verschuldet, etwa weil er keine geeignete Beschäftigung anbietet. Voraussetzung: Der Arbeitnehmer wäre zur Leistung bereit und fähig gewesen. Ist das nicht der Fall – z. B. wegen Krankheit – entfällt der Anspruch.
§ 3 Abs. 1 EFZG – Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.
(§ 3 Abs. 1 EFZG)
Wird der Arbeitnehmer krank, erhält er für sechs Wochen Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber – unabhängig davon, ob dieser sich im Annahmeverzug befindet oder nicht. Danach endet dieser Anspruch.
§ 616 BGB – Sonderfall der kurzfristigen Verhinderung
Der zur Dienstleistung Verpflichtete verliert den Anspruch auf die Vergütung nicht, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.
(§ 616 Satz 1 BGB)
Diese Norm greift bei kurzfristigen Leistungshindernissen (z. B. Arzttermin, Beerdigung), nicht jedoch bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit. Sie zeigt aber: Das Arbeitsrecht regelt die Unmöglichkeit speziell und abschließend – mit Vorrang vor § 326 BGB.
Krankengeld: Wer zahlt nach sechs Wochen?
Nach Ablauf der sechs Wochen Entgeltfortzahlung greift die gesetzliche Krankenversicherung ein:
- Krankengeld wird ab dem 43. Krankheitstag gezahlt.
- Es beträgt ca. 70 % des Brutto-, maximal aber 90 % des Nettoarbeitsentgelts.
- Grundlage ist § 44 SGB V: „Versicherte erhalten Krankengeld, wenn sie durch Krankheit arbeitsunfähig sind oder auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden […].“
Das BAG betont: Nur in dem durch EFZG und SGB V vorgesehenen Rahmen wird der Arbeitgeber entlastet. Ein unbegrenzter Lohnanspruch – z. B. durch Anwendung des § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BGB – besteht nicht.
Keine Lohnfortzahlung bei Krankheit im Annahmeverzug über EFZG hinaus
Das Urteil (BAG, 4.12.2024 – 5 AZR 276/23) macht klar:
- Wird ein Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs krank, endet sein Lohnanspruch grundsätzlich mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit.
- Ein weitergehender Anspruch nach § 326 BGB besteht nicht, da die Vorschriften des Arbeitsrechts spezialgesetzlich vorgehen.
- Nach sechs Wochen springt die Krankenkasse mit Krankengeld ein – weitergehende Ansprüche sind ausgeschlossen.
Für Arbeitnehmer bedeutet das: Schnell handeln bei fehlender Beschäftigung – und keine unrealistischen Erwartungen an Vergütungsansprüche im Krankheitsfall.