Eine Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung geltend zu machen ist kein seltener Streitpunkt: Wird eine erfolgsabhängige Vergütung zugesagt, aber nie eine Zielvereinbarung (oder nur verspätet) getroffen, stehen Arbeitnehmer häufig mit leeren Händen da – obwohl der Bonus fester Bestandteil des Vergütungspakets war. Dieser Rechtstipp erläutert verständlich und zugleich rechtlich präzise, wie Ansprüche auf Bonus trotz fehlender Zielvereinbarung durchgesetzt werden können, welche Gesetze und aktuelle Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) greifen und welche prozesstaktischen Schritte sinnvoll sind.
Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung: Worum geht es?
Bei variablen Vergütungen wird häufig vereinbart, dass ein Leistungsbonus gezahlt wird, „abhängig von der individuellen Zielerreichung“. Bleibt es jedoch bei einer allgemeinen Zusage und werden konkrete Ziele nie vereinbart, stellt sich die Frage: Geht der Arbeitnehmer leer aus – oder kann er den entgangenen Bonus als Schadensersatz verlangen?
Ein praxisnahes Beispiel: In einem Arbeitsvertrag ist ein jährlicher Bonus mit Basiswert 10.000 € vorgesehen, halbjährlich auszuzahlen; die konkrete Höhe hängt von zu vereinbarenden Zielen ab. Der Arbeitgeber legt jedoch über die gesamte Vertragslaufzeit keine Ziele fest – trotz wiederholter Aufforderung. Der Arbeitnehmer fordert schließlich 20.000 € Bonus (zwei Jahre), zusätzlich Verzugszinsen, und stützt sich auf §§ 280, 281, 283 BGB sowie aktuelle BAG-Rechtsprechung.
Rechtlicher Rahmen: §§ 280, 281, 283 BGB und § 315 BGB
Der zentrale Anknüpfungspunkt ist § 280 Abs. 1 BGB. Der Gesetzestext bringt es knapp auf den Punkt:
„Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen.“
Kommt der Arbeitgeber seiner Vertragspflicht zur Zielvereinbarung nicht nach, liegt eine Pflichtverletzung vor. Für Schadensersatz statt der Leistung sind je nach Konstellation die zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 281 oder 283 BGB erforderlich:
- § 281 BGB (Schadensersatz statt der Leistung bei nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistung) setzt Fristsetzung voraus.
- § 283 BGB (Schadensersatz statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht) greift, wenn nach Ablauf der Zielperiode die Zielvereinbarung objektiv nicht mehr nachholbar ist (Unmöglichkeit).
Ist die variablere Vergütung als Zielvorgabe (einseitige Festlegung durch den Arbeitgeber) ausgestaltet, muss die Bestimmung „nach billigem Ermessen“ erfolgen; Rechtsgrundlage ist § 315 BGB.
Für Verzug und Zinsen gilt: Nach § 286 BGB kommt der Schuldner durch Mahnung in Verzug; § 288 Abs. 1 BGB ordnet Verzugszinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz an (bei Verbraucherbeteiligung).
Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung: Aktuelle BAG-Leitlinien
BAG, Urteil vom 17.12.2020 – 8 AZR 149/20
Das BAG hat klargestellt:
Unterbleibt die vertraglich geschuldete Zielvereinbarung schuldhaft, besteht nach Ablauf der Zielperiode ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 1, 3 i. V. m. § 283 BGB).
Damit ist der Weg eröffnet, den entgangenen Bonus ersatzweise zu verlangen, wenn der Arbeitgeber die Zielvereinbarung nicht geschlossen hat.
BAG, Urteil vom 03.07.2024 – 10 AZR 171/23
Das BAG hat die Pflichten des Arbeitgebers weiter präzisiert:
Der Arbeitgeber erfüllt seine Pflicht nur, wenn er Verhandlungen über die Zielvereinbarung führt und dem Arbeitnehmer Einfluss auf die Ziele ermöglicht.
Es ist die Zielvereinbarung von der Zielvorgabe (einseitige Bestimmung mit § 315 BGB-Kontrolle) ausdrücklich abzugrenzen.
Folgen für die Durchsetzung: Schadenshöhe und Beweismaß
Wie hoch ist der „entgangene Bonus“? Hier greift § 287 ZPO: Das Gericht darf die Schadenshöhe schätzen, wenn Anknüpfungstatsachen vorliegen. Die Anforderungen an die Darlegung sind maßvoll; zu strenge Hürden sind unzulässig.
In der Praxis kommen folgende Schätzmodelle in Betracht:
- Maximalbonus (100 %-Annahme), wenn Zielvereinbarungen vollständig unterblieben sind und die Anreizfunktion nicht mehr herstellbar ist (insbes. bei sehr verspäteter Zielsetzung).
- Typische Zielerreichung anhand Vergleichszahlen (z. B. durchschnittliche Zielerreichungsgrade in der Abteilung oder Vorjahre).
- Konkrete Performance-Indikatoren (z. B. Umsatz-/Projektkennzahlen), soweit nachweisbar und vertraglich relevant.
Beachten Sie: Weist die Bonusklausel einen Basiswert aus (z. B. 10.000 € p. a.) und lässt Anpassungen „nach billigem Ermessen“ zu, ist diese Bestimmung gerichtlich überprüfbar; fehlerhaftes Ermessen führt zur Neubestimmung durch das Gericht (§ 315 Abs. 3 BGB).
Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung: Praxisfälle und Argumente
Streit entsteht, wenn zwar ein Leistungsbonus zugesagt wurde, konkrete Zielvorgaben jedoch trotz mehrfacher Aufforderung nicht festgelegt und Boni nie ausgezahlt wurden. In dieser Konstellation ist die Pflichtverletzung offensichtlich. Für bereits abgelaufene Zielperioden liegt regelmäßig Unmöglichkeit vor (§ 283 BGB), sodass Schadensersatz statt der Leistung verlangt werden kann. Damit lässt sich die Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung effektiv durchsetzen, wenn der Arbeitgeber seine vertraglichen Pflichten versäumt hat.
Kommt es zwar irgendwann zu einer Zielvorgabe, aber erst so spät, dass die Anreizfunktion leerläuft, behandelt die Rechtsprechung die Situation faktisch wie ein völliges Unterbleiben der Zielsetzung. In der Praxis dient dann häufig der 100 %-Bonus als Ausgangspunkt für die richterliche Schätzung der Höhe des Schadensersatzanspruchs. Auch hier gilt: Eine Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung darf nicht am taktischen Zuwarten des Arbeitgebers scheitern.
Wichtig ist zudem die Abgrenzung zwischen Zielvereinbarung und Zielvorgabe: Bei einer Zielvereinbarung besteht eine beiderseitige Verhandlungspflicht des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers (BAG, 10 AZR 171/23). Demgegenüber unterliegt eine einseitige Zielvorgabe der Ermessenskontrolle nach § 315 BGB; „billiges“ Ermessen erfordert einen fairen, sachgerechten Zuschnitt der Kriterien. Werden diese Maßstäbe verfehlt, kann die Bestimmung korrigiert werden – ein weiterer Hebel, um die Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung bzw. ohne wirksame Zielvorgabe durchzusetzen.
Schließlich sollten Zinsansprüche nicht übersehen werden: Nach Mahnung oder Ablauf einer gesetzten Frist gerät der Arbeitgeber in Verzug. Dann fallen Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz an (§§ 286, 288 Abs. 1 BGB). So wird die Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung nicht nur dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach vollständig gesichert.
Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung: Prozesstaktische Empfehlungen
- Frühzeitig dokumentieren
Sichern Sie E-Mails, Gesprächsnotizen und Kalendereinträge, in denen die Zielvereinbarung angemahnt wurde. Je lückenloser die Chronologie, desto leichter die Darlegung der Pflichtverletzung und des Kausalzusammenhangs. - Fristsetzung mit Leistungsbestimmung
Fordern Sie die sofortige Aufnahme von Verhandlungen und setzen Sie eine angemessene Frist. So schaffen Sie – neben § 283 für abgelaufene Perioden – auch die Voraussetzungen des § 281 BGB für laufende Perioden. - Schadensdarlegung nach § 287 ZPO
Tragen Sie Anknüpfungstatsachen vor (Basiswert, übliche Zielerreichungen, Abteilungsbenchmarks, Leistungskennzahlen). Weisen Sie auf das maßvolle Beweismaß hin; überzogene Anforderungen sind unzulässig. - Ermessenskontrolle bei Zielvorgaben (§ 315 BGB)
Liegt eine Zielvorgabe-Klausel vor, rügen Sie Ermessensfehler (unsachlich, willkürlich, widersprüchlich, keine Abwägung). Beantragen Sie ggf. gerichtliche Bestimmung der Leistung. - Zinsen und Kosten
Machen Sie Verzugszinsen nach §§ 286, 288 BGB geltend; dokumentieren Sie die Mahnung (Schreiben, E-Mail). - Betriebsübergang im Blick behalten
Steht ein Rechtsnachfolger an (Betriebsübergang), sichern Sie Auskunft über Erwerber und Firmendaten, um Haftungsgreifer rechtzeitig zu adressieren; Ansprüche bleiben grundsätzlich erhalten (Stichwort § 613a BGB).
Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung: Kurze Rechtsgrundlagen im Überblick
- § 280 BGB – Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (Pflicht zum Ersatz bei Vertragsverletzung).
- § 281 BGB – Schadensersatz statt der Leistung (bei Fristsetzung).
- § 283 BGB – Schadensersatz statt der Leistung bei Ausschluss der Leistungspflicht (Unmöglichkeit, z. B. nach Ablauf der Zielperiode).
- § 315 BGB – Billiges Ermessen bei einseitiger Leistungsbestimmung (Zielvorgaben).
- § 287 ZPO – Schätzung der Schadenshöhe.
- §§ 286, 288 BGB – Verzug und Verzugszinsen.
Bonuszahlung ohne Zielvereinbarung: Fazit
Unterbleibt die vertraglich geschuldete Zielvereinbarung schuldhaft, begründet dies – nach Ablauf der Zielperiode – Schadensersatz statt der Leistung (BAG 8 AZR 149/20). Zudem trifft den Arbeitgeber eine aktive Verhandlungspflicht; er erfüllt sie nur, wenn er ernsthafte Verhandlungen führt und Einflussnahme ermöglicht (BAG 10 AZR 171/23). In der Praxis sind saubere Dokumentation, fristsetzende Aufforderungen und eine fundierte, aber pragmatische Schadensdarlegung (§ 287 ZPO) entscheidend. Ermessensgesteuerte Zielvorgaben unterliegen der Billigkeitskontrolle (§ 315 BGB). Mit dieser Argumentationslinie lassen sich Bonusansprüche auch ohne geschlossene Zielvereinbarung effektiv durchsetzen.
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Arbeitnehmer sollten ihren Bonusanspruch auch dann konsequent geltend machen, wenn keine Zielvereinbarung abgeschlossen wurde, da eine unterlassene Bonuszahlung erhebliche finanzielle Nachteile mit sich bringt und regelmäßig zu einer Verletzung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung führt. Die variable Vergütung ist in vielen Arbeitsverträgen ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtvergütung – ihr Ausbleiben führt faktisch zu einer einseitigen Kürzung der Vergütung. Zudem setzt das geltende Arbeitsrecht klare Grenzen gegenüber willkürlichem Arbeitgeberverhalten: Wer sich auf die unterlassene Zielvereinbarung beruft, kann nicht nur die Zahlung des entgangenen Bonus verlangen, sondern auch für künftige Zeiträume eine verbindliche Regelung durchsetzen. Die gerichtliche Durchsetzung sorgt damit nicht nur für Kompensation, sondern schafft auch Rechtsklarheit und verhindert künftige Aushöhlungen der Vergütungsstruktur durch strategisches Zuwarten oder Unterlassen seitens des Arbeitgebers. Arbeitnehmer schützen mit der Geltendmachung ihrer Bonusansprüche also nicht nur ihren individuellen Anspruch, sondern stärken insgesamt die Verbindlichkeit arbeitsvertraglicher Vergütungsregelungen.