Warum ist die Entgeltfortzahlung so wichtig?
Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist ein zentraler Schutzmechanismus im deutschen Arbeitsrecht. Sie garantiert Arbeitnehmern bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit eine Weiterzahlung ihres Gehalts für bis zu sechs Wochen gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Doch welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Und wie verhält es sich mit besonderen Fällen, wie z. B. Alkoholabhängigkeit oder erneuter Erkrankung während der Entgeltfortzahlung? Hier erfahren Sie alles Wichtige, ergänzt durch aktuelle Rechtsprechung.
Die Grundlagen der Entgeltfortzahlung
Rechtsanspruch laut EFZG
Gemäß § 3 EFZG haben Arbeitnehmer bei einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts für bis zu sechs Wochen. Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen ununterbrochen bestanden hat.
- Unverschuldete Arbeitsunfähigkeit: Der Anspruch entfällt nur, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit durch grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten selbst verursacht hat.
Beweislast liegt beim Arbeitgeber
Wenn der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigert, weil er ein Verschulden des Arbeitnehmers behauptet, muss er dies vor Gericht nachweisen.
Verschulden: Wann entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung?
Grobe Fahrlässigkeit und Sportverletzungen
Die Rechtsprechung zeigt, dass ein Verschulden häufig von den Umständen abhängt:
- Verkehrsunfälle: Eine grob fahrlässige Fahrweise kann den Anspruch ausschließen.
- Sportverletzungen: Sportarten wie Reiten oder Wildwasserkanu gelten nicht als grob fahrlässig, jedoch können gefährliche Aktivitäten wie Bungeejumping oder Kickboxen den Anspruch gefährden.
Besondere Fälle: Alkoholabhängigkeit
Laut BAG-Urteil vom 18.03.2015 (10 AZR 99/14) gilt eine Alkoholabhängigkeit grundsätzlich nicht als verschuldet, da sie als Krankheit anerkannt ist. Auch ein Rückfall nach einer Therapie begründet keinen Ausschluss.
In-vitro-Fertilisation
Das BAG-Urteil vom 26.10.2016 (5 AZR 167/16) differenziert hier:
- Ein Verschulden liegt vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch eine unsachgemäße medizinische Behandlung entsteht.
- Wird die Erkrankung jedoch durch eine fachgerecht durchgeführte Maßnahme verursacht, bleibt der Anspruch bestehen.
Erneute Erkrankung während der Entgeltfortzahlung
Der Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls (BAG 25.05.2016, Az.: 5 AZR 318/15) regelt, dass bei einer weiteren Erkrankung während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit kein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht. Ein neuer Anspruch beginnt nur, wenn die erste Erkrankung vollständig beendet ist.
Besondere Fälle: Regressansprüche gegen Dritte
Arbeitgeber haben gemäß § 6 EFZG die Möglichkeit, Regressansprüche gegen Dritte geltend zu machen, wenn diese die Arbeitsunfähigkeit verursacht haben, z. B. bei Verkehrsunfällen. Auch Kosten einer notwendigen Ersatzkraft können erstattet werden, jedoch nicht Umlagen zur Unfall- oder Mutterschaftsversicherung.
Entgeltfortzahlung bei ambulanter Kur
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG besteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch bei ambulanten Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen, sofern die Einrichtung den Anforderungen des § 107 Abs. 2 SGB V entspricht (BAG, 25.05.2016, 5 AZR 298/15).
Fazit: Ihre Rechte kennen und durchsetzen
Die Entgeltfortzahlung sichert Arbeitnehmern finanzielle Stabilität im Krankheitsfall. Arbeitgeber können den Anspruch nur unter engen Voraussetzungen verweigern. Arbeitnehmer sollten sich im Zweifel beraten lassen, um ihre Rechte durchzusetzen, insbesondere wenn ein Verschulden behauptet wird. Die aktuelle Rechtsprechung bietet dabei Orientierung für häufige Streitfragen.