Erneute Erkrankung und Entgeltfortzahlung – Wann haben Arbeitnehmer einen Anspruch?

Entgeltfortzahlung bei mehrfachen Erkrankungen – Worauf Sie achten sollten

Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gehört zu den wichtigsten Schutzrechten für Arbeitnehmer. Doch was passiert, wenn eine erneute Erkrankung während oder nach einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eintritt? Entscheidend ist, ob es sich um eine Fortsetzungserkrankung oder eine Wiederholungserkrankung handelt. Dieser Beitrag klärt, wann ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht und wie die Gerichte dies bewerten.


Fortsetzungserkrankung vs. Wiederholungserkrankung

Fortsetzungserkrankung – Gleiche Ursache, kein neuer Anspruch

Eine Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn die erneute Erkrankung auf derselben Grundkrankheit beruht. Beispiele:

  • Eine Lungenentzündung entwickelt sich zu einer weiteren Lungenkrankheit.

In diesem Fall gilt der Grundsatz: Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht maximal sechs Wochen für dieselbe Krankheit (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG).
Beweispflicht: Der Arbeitnehmer muss nachweisen, dass es sich um eine neue Krankheit handelt.

Wiederholungserkrankung – Voraussetzungen für einen neuen Anspruch

Ein neuer Anspruch entsteht nur, wenn:

  1. Der Arbeitnehmer mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war, oder
  2. Seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit zwölf Monate vergangen sind (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG).

Falls diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, bleibt der Anspruch auf die ursprünglichen sechs Wochen begrenzt.


Einheit des Verhinderungsfalls: Eine komplexe Abgrenzung

Der Begriff der Einheit des Verhinderungsfalls beschreibt Situationen, in denen der Arbeitnehmer während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit an einer weiteren Krankheit erkrankt.

Wann besteht ein neuer Anspruch?

Laut Bundesarbeitsgericht (BAG, 25.05.2016 – 5 AZR 318/15):

  • Ein neuer Anspruch entsteht nur, wenn die erste Erkrankung vollständig ausgeheilt war, bevor die zweite Krankheit zur Arbeitsunfähigkeit führte.

Indizien für einen einheitlichen Verhinderungsfall:

Das BAG hat klargestellt, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den Erkrankungen einen einheitlichen Verhinderungsfall vermuten lässt:

  • Direkte zeitliche Abfolge der Krankschreibungen,
  • Keine arbeitsfreie Phase zwischen den Krankschreibungen.

Die Beweislast liegt beim Arbeitnehmer. Er muss darlegen, dass die erste Erkrankung vollständig ausgeheilt war.


Beispiele aus der Praxis

Beispiel 1: Einheit des Verhinderungsfalls

Ein Arbeitnehmer ist aufgrund eines Bandscheibenvorfalls sechs Wochen krank. Nach einem Wochenende erkrankt er erneut an einer anderen Krankheit.

  • Rechtliche Bewertung: Kein neuer Anspruch, da die erste Erkrankung nicht ausgeheilt war.

Beispiel 2: Wiederholungserkrankung

Ein Arbeitnehmer ist 12 Monate nach einer Lungenentzündung erneut krank, diesmal aufgrund einer Grippe.

  • Rechtliche Bewertung: Neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung, da die Frist von zwölf Monaten überschritten wurde (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG).

Praxistipp: Wie können Arbeitgeber vorgehen?

Arbeitgeber haben keine direkten Einblicke in die Diagnosen der Arbeitnehmer, können aber Indizien nutzen, um das Vorliegen einer neuen Erkrankung zu hinterfragen:

  • Überprüfung der ausstellenden Ärzte: Ein Wechsel der Fachrichtung (z. B. Hausarzt zu Gynäkologin) kann auf eine neue Erkrankung hinweisen.
  • Dokumentation der Krankheitszeiträume und der ausgestellten Bescheinigungen.

Falls Zweifel bestehen, sollten Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer rechtlichen Rat einholen.


Fazit: Genaue Prüfung entscheidend

Die Abgrenzung zwischen Fortsetzungserkrankung und Wiederholungserkrankung ist entscheidend für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Arbeitnehmer müssen im Zweifelsfall belegen, dass die erste Erkrankung vollständig ausgeheilt war. Arbeitgeber sollten den Krankheitsverlauf sorgfältig dokumentieren, um im Streitfall ihre Rechte zu wahren.

Der medizinische Dienst der Krankenkassen als wichtige Instanz

In Zweifelsfällen über die Ausheilung einer Ersterkrankung oder die Abgrenzung zwischen Fortsetzungs- und Wiederholungserkrankung kann der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) eine entscheidende Rolle spielen. Arbeitgeber können den MDK einschalten, um die medizinische Grundlage der vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen überprüfen zu lassen.

Der MDK ist befugt, die vorliegenden Diagnosen und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit auf Plausibilität zu prüfen. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn Zweifel an der korrekten Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit bestehen oder der Verdacht besteht, dass eine Erkrankung nicht ordnungsgemäß ausgeheilt war.

Praxistipp: Zusammenarbeit mit dem MDK

Arbeitgeber sollten bei Unsicherheiten die Möglichkeit nutzen, den medizinischen Dienst einzuschalten, um Klarheit zu schaffen. Dies kann helfen, potenzielle Missverständnisse zu vermeiden und den eigenen Standpunkt im Falle einer rechtlichen Auseinandersetzung zu untermauern. Arbeitnehmer sollten wissen, dass die Einschaltung des MDK gesetzlich vorgesehen ist und im Interesse aller Beteiligten Klarheit schafft.

Diese zusätzliche Instanz unterstützt die korrekte Anwendung der gesetzlichen Regelungen und sorgt dafür, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ihre Rechte und Pflichten transparent und fair wahrnehmen können.